Warum Equal Pay-Anfragen nicht funktionieren

07.03.2022

Das Thema Geld ist ein ausgesprochen schwieriges Thema für Frauen. Das hat unsere Untersuchung auf- gezeigt. Wir wollen, auch wenn Equal Pay nicht Teil unserer Untersuchung war, mögliche Gründe und Hypothesen aus den Erkenntnissen unserer Studie anführen, die es Frauen nicht nur erschweren, sondern aus psychologischer Sicht im Grunde unmöglich machen, diese gut gemeinte Möglichkeit zu nutzen.

Stillhaltetaktik

Obwohl Frauen das Recht haben, nach der Lohngleichheit zwischen Männern und Fraueninnerhalb des Unternehmens Auskunft zu erhalten, fragt kaum eine Frau danach. Eine Untersuchung von Kienbaum und anderen aus dem Jahr 2019 hat herausgefunden, dass nur zwei Prozent der Befragten und insgesamt vier Prozent in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden diese Möglichkeit nutzen (https://www.wuv.de/karriere/beschaeftigte_nehmen_recht_auf_gehaltsauskunft_kaum_in_anspruch).

Das heißt, Frauen halten still. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, es ginge ihnen gar nicht vor- rangig ums Geldverdienen, sondern ausschließlich um die Arbeit selbst. In unseren Interviews haben wir festgestellt, dass nur einige wenige Frauen direkt und selbstverständlich das Thema Geld ansprachen, Lust am Geldverdienen zeigten und ihre wirtschaftliche Autonomie hoch bewerteten. Die meisten streiften das Thema nur sehr kurz, es schien für sie ausgesprochen stressbehaftet zu sein. Mit anderen Worten: Das Schweigen der Frauen spricht Bände über die Dimension desdahinter lauernden Tabus.

Wir sehen darin eine Gehorsamkeitsbindung, die Frauen blockiert, nach Geld zu fragen, geschweige denn nach höherer oder nach fairer Bezahlung.

Die Büchse der  Pandora

Was verbirgt sich hinter dem Phänomen, dass die Mehrzahl der Frauen nicht wissen will, ob sie gerecht bezahlt wird?

Dass das Einfordern von „Equal Pay“ nicht gelingen kann, hat etwas mit der berühmten Büchse der Pandora zu tun, die einmal geöffnet, so die Mythologie, Übel und Zerstörung über die Menschheit bringt. Innerpsychisch bewirkt bereits die Anfrage einen ähnlichen Effekt – besonders wenn Frauen damit rechnen müssen, dass es Ungerechtigkeiten im Unternehmen gibt. Frauen begehen mit ihrer Anfrage einen Tabubruch, denn – so die heimliche Regel, die für Männer und Frauen gleichermaßen gilt – über Gehälter darf grundsätzlich nicht geredet werden.

Frauen befinden sich zusätzlich in einer Macht-Ohnmacht-Verstrickung, da ihnen, wenn es um das eigene Gehalt und damit um ihre persönliche Autonomie geht, subtil von Seiten der Männerwelt ein besonderer Vertrauensbruch suggeriert wird. Interessanterweise funktioniert dieser Mechanismus auch ohne direktes Aussprechen des Vorwurfs

Männliche  Machtprinzipien

Um die  herrschenden Machtverhältnisse stabil zu halten, wirkt auf der  unterbewussten Ebene ein unausgesprochenes, permanent wirkendes  Drohszenario, das Frauen über Angstbindungen in Schach hält. Je  unabhängiger Frauen werden, umso mehr fühlen sich Männer, die ihren  Selbstwert und ihre Identität unter anderem aus einem Machtgefälle zwischen  Männern und Frauen schöpfen, bedroht. Je unsicherer diese Männer wiederum  innerpsychisch sind, umso gefährlicher wird es für die Frauen.  

Auf der  individualpsychologischen als auch strukturell gesellschaftlichen Ebene ist  dieses Phänomen weit verbreitet. Insofern befinden sich Frauen permanent in  der Gefahr, nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern auch privat „in  Ungnade“ zu fallen. Es geht also um unterschwellig wirkende Gewalt, auf die  Frauen mit einer unbewussten Unterwerfungsgeste reagieren.

So erklärt sich  für uns auch, dass Frauen meist keine finanzielle Absicherung mit ihren  Partnern vertraglich vereinbaren, obwohl sie ihre beruflichen Vorhaben  zugunsten der Familie aufgeben oder reduzieren. Statt fair und sachlich  Regelungen mit dem Partner zu besprechen, kämpfen Frauen mit dem Gefühl des  Verrates am Mann und an der Liebe zu ihm. Innerpsychisch wird dieses  Vorgehen von diesen Frauen selbst als mehr oder weniger schwerer  Vertrauensbruch gegenüber ihrem Mann gleichgesetzt.

Wir sprechen hier  von einer emotionalen Falle für Frauen, indem eine subtile Verdrehung von  der sachlich vernünftigen Ebene auf die emotionale Beziehungsebene  stattfindet. Die Koppelung mit einer moralischen Verwerflichkeit als  unterstelltes Ansinnen der Frauen wiegt schwer.

Spiegelgleich spielt sich dieses Phänomen im Unternehmen ab. Auch hier steht der unterschwellig wirkende Vorwurf des Vertrauensbruches und der fehlenden Loyalität der Frau ihrem Arbeitgeber gegenüber im Raum. Eine berechtigte Anfrage verkehrt sich innerpsychisch zu einer moralischen Ungeheuerlichkeit.

Drei sind im  Spiel – eine Triade mit Vorführcharakter

Die Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Mitarbeiterinnen sind ausgesprochen ungleich verteilt. Unternehmen ohne Fairplay werden daran in ihrer verbalen als auch nonverbalen Kommunikationsstruktur zum Machterhalt auch keinen Zweifel lassen. Frauen, die Equal Pay anfragen, laufen daher Gefahr, vom Unternehmen als „willkommene“ Präzedenzfälle vorgeführt zu werden.

In der systemischen Therapie sprechen wir von sogenannten Mobbing-Triaden. Das heißt: Eine Seite greift an, meist werden einzelne und ganz besonders kompetente Menschen (das erhöht die Wirkung auf die anderen) angegriffen und der Rest schaut zu. Wichtig ist, um die Wirkung von Mobbing-Triaden richtig verstehen zu können, dass es nicht um die Person geht, die gemobbt wird, sondern um die Zuschauer*innen. Um Gewaltstrukturen im Unternehmen zu festigen und wirkungsvoll aufzuzeigen, welche Repressalien auf alle warten, die sich ebenfalls exponieren wollen, bieten sich Equal Pay-Anfragen leider nur zu gut an.

Immerhin zwei Prozent unserer Befragten wagten diese Anfragen. Leider wissen wir nicht, welche Erfahrungen sie mit ihrem Vorstoß gemacht haben. Doch wir gehen davon aus, dass sie wenig Solidarität und Unterstützung aus dem Kollegium erfahren haben dürften, unter hohem und existenziell belasten- den Stress standen und berufliche Nachteile in Kauf nehmen mussten. Unternehmen, die nicht vorhaben, Frauen fair zu bezahlen, dürften harte Geschosse auffahren, um grundsätzlich ein Exempel zu statuieren

Wahl zwischen  Pest und Cholera  

Die Gründe, Equal Pay nicht anzufragen, beruhen aus unserer Sicht auf einem bewussten oder unbewussten Sicherheitsverhalten. In der Verhaltenspsychologie versteht man darunter Verhaltensweisen, die ge- fürchtete Konsequenzen abwenden oder verringern. Sie sollen damit die Bedrohlichkeit einer Situation reduzieren, wenn man bereits in der Situation ist, die man normalerweise vermeidet (aus: https://de.wi- kipedia.org/wiki/Sicherheitsverhalten).

Überwinden Frauen ihr Sicherheitsbedürfnis und fragen nach den Gehaltsstrukturen, stehen sie bei unfairer Bezahlung vor dem Dilemma des Wissens und Erwachens, was zuvor nur Ahnung war. Und damit stehen sie vor der Entscheidung, gerichtlich streiten zu müssen, wenn sie Recht bekommen wollen.

Sie laufen Gefahr, im Arbeitssystem, das gehorsames Verhalten verlangt, als Nestbeschmutzerinnen aus- geschlossen zu werden, den Gerichtsprozess zu verlieren und über kurz oder lang auch ihre Stellen. Innerpsychisch setzen sie sich damit einer existenziellen Krise aus, mit ungewissem Ausgang und der klaren Tendenz „schlecht für mich“.

Bleiben sie untätig, obwohl es Anzeichen gibt, dass sie benachteiligt werden, kann ein innerer Konflikt entstehen, der sich langfristig negativ auf den Selbstwert der Frauen auswirken dürfte. Es geht um die Selbstverleugnung eigener Bedürfnisse und Interessen, darum, für sich einzustehen und sie müssen mit einer latenten Wut umgehen, die sich – je nach Persönlichkeitsstruktur und Situation – in der Arbeit unangemessen zeigen und zu ihrem Nachteil entwickeln könnte. Verunsicherung, fehlendes Zutrauen in höhere Aufgaben, selbsterfüllende Prophezeiungen – all das kann sich entwickeln, wenn sich der Selbstwert auf Grund der eigenen Selbstverleugnung stetig aushöhlt.

Je nachdem, wie hoch das Sicherheitsbedürfnis einer Frau ist, bleibt ihr nur die Wahl, mutig zu kämpfen und dabei vielleicht den Arbeitsplatz zu verlieren oder sich im Gehorsam der heimlichen Regel „bei uns wird nicht gefragt“ zu unterwerfen. Nach unserer Einschätzung sollten Frauen sich dieser Situation nicht aussetzen müssen. Dass es in Deutschland oftmals nicht fair zugeht, zeigt ein strukturelles Problem auf, dass auch strukturell angegangen wer- den muss.

Ein strukturelles  Machtthema  

Minderbezahlung von Frauen ist ein Prinzip, das weltweit vorherrscht und „bestens“ funktioniert. Deutsche Unternehmen machen mit, weil es ihnen immer noch zu leicht gemacht wird. Solange es in Deutschland den Verhaltenskodex gibt, dass es tabu ist, über Geld zu reden, bleibt es bei einer Gehorsamkeitsbindung, dank derer Unternehmen weiterhin eine unfaire Gehaltspolitik vertreten können, wenn sie es wollen.

Die richtige Antwort darauf wären gesetzliche Regelungen, die diese Prozesse beenden. Das Entgelttransparenzgesetz ist aus unserer Sicht ein guter Ansatz, allerdings braucht es noch mehr Schlagkraft durch strenge Prüfverfahren und wirkungsvolle – unter Umständen auch harte – Sanktionen. Es muss üblich werden, dass Gehälter und Verdienste offengelegt werden. Zudem braucht es einen gesellschaftlichen Konsens, der Gewinnmaximierung und unfaire Bezahlung auf Kosten anderer nicht mehr duldet.

Auszug aus der Side-by-Side Studie, 2020

Martina Lackner

Als Psychologin, Autorin und Unternehmerin (www.crossm.de) habe mich seit 2019 in einem vierköpfigen Team mit Expertinnen auf den Gebieten weibliche Identität und Frauenförderung, Führungskräfteentwicklung, Psychologie sowie systemische Familien- und Psychotherapie zusammengeschlossen, um zum Thema Karrierehemmnisse von Frauen zu forschen. Anlass war sowohl meine Arbeit als Mitherausgeberin des 2019 erschienenen Buchs „Männer an der Seite erfolgreicher Frauen. Side by Side an die Spitze“ als auch die immer wiederkehrende Frage von HR-Verantwortlichen, warum so wenig Frauen in Führung gehen wollen – trotz interner Frauenförderprogramme und Diversitybestrebungen im Unternehmen.